Andreas Gyphius Menschliches Elende WAs sind wir Menschen doch? Ein Wohnhauß grimmer Schmertzen Ein Ball des falschen Glücks / ein Irrlicht diser Zeit. Ein Schauplatz herber Angst / besetzt mit scharffem Leid / Ein bald verschmeltzter Schnee und abgebrante Kertzen. Diß Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Schertzen. 5 Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid Vnd in das Todten-Buch der grossen Sterblikeit Längst eingeschriben sind / sind uns aus Sinn und Hertzen. Gleich wie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt / Vnd wie ein Strom verscheust / den keine Macht auffhält: 10 So muß auch unser Nahm / Lob / Ehr und Ruhm verschwinden / Was itzund Athem holt / muß mit der Lufft entflihn / Was nach uns kommen wird / wird uns ins Grab nachzihn. Was sag ich? wir vergehn wie Rauch von starcken Winden Johann Wilhelm Ludwig Gleim Der Stern der Liebe Am Himmel steht ein schöner Stern, Der heißt der Stern der Liebe, Man sucht ihn auf, man sieht ihn gern, Und ist’s am Himmel trübe, Dann missen wir sein schönes Licht, Denn durch die Wolken scheint er nicht. Wenn ich zu meinem Mädchen geh’ Im Kühlen und im Dunkeln, Und dann den Stern der Liebe seh’ Am dunkeln Himmel funkeln, Dann fühl’ ich Liebe, dann ruf’ ich: Komm’ Mädchen, komm’ und küsse mich! Dann kommt’s, dann fühlt das Mädchen sich, Als wenn’s mich küssen müßte; So zärtlich küßt’s, als wenn es mich Nur mit der Seele küßte; Dann wird’s vertraulich, nennt mich du, Und alle Sternlein sehen zu Gottfried August Bürger Lenore Lenore fuhr um’s Morgenrot Empor aus schweren Träumen: „Bist untreu, Wilhelm, oder tot? Wie lange willst du säumen?“ – Er war mit König Friedrichs Macht Gezogen in die Prager Schlacht, Und hatte nicht geschrieben: Ob er gesund geblieben. Der König und die Kaiserin, Des langen Haders müde, Erweichten ihren harten Sinn, Und machten endlich Friede; Und jedes Heer, mit Sing und Sang, Mit Paukenschlag und Kling und Klang, Geschmückt mit grünen Reisern, og heim zu seinen Häusern. Und überall all überall, Auf Wegen und auf Stegen, Zog Alt und Jung dem Jubelschall Der Kommenden entgegen. Gottlob! rief Kind und Gattin laut, Willkommen! manche frohe Braut. Ach! aber für Lenoren War Gruß und Kuß verloren. Sie frug den Zug wohl auf und ab, Und frug nach allen Namen; Doch keiner war, der Kundschaft gab, Von allen, so da kamen. Als nun das Heer vorüber war, Zerraufte sie ihr Rabenhaar, Und warf sich hin zur Erde, Mit wütiger Geberde. Die Mutter lief wohl hin zu ihr: – „Ach, daß sich Gott erbarme! Du trautes Kind, was ist mit dir?“ – Und schloß sie in die Arme. – „O Mutter, Mutter! hin ist hin! Nun fahre Welt und alles hin! Bei Gott ist kein Erbarmen. O weh, o weh mir Armen –“! „Hilf Gott, hilf! Sieh uns gnädig an! Kind, bet’ ein Vaterunser! Was Gott tut, das ist wohlgetan. Gott, Gott erbarmt sich Unser!“ – „O Mutter, Mutter! Eitler Wahn! Gott hat an mir nicht wohlgetan! Was half, was half mein Beten? Nun ist’s nicht mehr vonnöten.“ – „Hilf Gott, hilf! wer den Vater kennt, Der weiß, er hilft den Kindern. Das hochgelobte Sakrament Wird deinen Jammer lindern.“ – „O Mutter, Mutter! was mich brennt, Das lindert mir kein Sakrament! Kein Sakrament mag Leben Den Toten wiedergeben.“ – „Hör, Kind! wie, wenn der falsche Mann, Im fernen Ungerlande, Sich seines Glaubens abgetan, Zum neuen Ehebande? Laß fahren, Kind, sein Herz dahin! Er hat es nimmermehr Gewinn! Wann Seel’ und Leib sich trennen, Wird ihn sein Meineid brennen.“ – „O Mutter, Mutter! Hin ist hin! Verloren ist verloren! Der Tod, der Tod ist mein Gewinn! O wär’ ich nie geboren! Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus! Stirb hin, stirb hin in Nacht und Graus! Bei Gott ist kein Erbarmen. O weh, o weh mir Armen!“ – „Hilf Gott, hilf! Geh nicht ins Gericht Mit deinem armen Kinde! Sie weiß nicht, was die Zunge spricht. Behalt ihr nicht die Sünde! Ach, Kind, vergiß dein irdisch Leid, Und denk an Gott und Seligkeit! So wird doch deiner Seelen Der Bräutigam nicht fehlen.“ – „O Mutter! Was ist Seligkeit? O Mutter! Was ist Hölle? Bei ihm, bei ihm ist Seligkeit, Und ohne Wilhelm Hölle! – Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus! Stirb hin, stirb hin in Nacht und Graus! Ohn’ ihn mag ich auf Erden, Mag dort nicht selig werden.“ – – – So wütete Verzweifelung Ihr in Gehirn und Adern. Sie fuhr mit Gottes Vorsehung Vermessen fort zu hadern; Zerschlug den Busen, und zerrang Die Hand, bis Sonnenuntergang, Bis auf am Himmelsbogen Die goldnen Sterne zogen. Und außen, horch! ging’s trap trap trap, Als wie von Rosseshufen; Und klirrend stieg ein Reiter ab, An des Geländers Stufen; Und horch! und horch! den Pfortenring Ganz lose, leise klinglingling! Dann kamen durch die Pforte Vernehmlich diese Worte: „Holla, holla! Tu auf mein Kind! Schläfst, Liebchen, oder wachst du? Wie bist noch gegen mich gesinnt? Und weinest oder lachst du?“ – „Ach, Wilhelm, du? – – So spät bei Nacht? – – Geweinet hab’ ich und gewacht; Ach, großes Leid erlitten! Wo kommst du hergeritten?“ – „Wir satteln nur um Mitternacht. Weit ritt ich her von Böhmen. Ich habe spät mich aufgemacht, Und will dich mit mir nehmen.“ – „Ach, Wilhelm, erst herein geschwind! Den Hagedorn durchsaust der Wind, Herein, in meinen Armen, Herzliebster, zu erwarmen!“ – „Laß sausen durch den Hagedorn, Laß sausen, Kind, laß sausen! Der Rappe scharrt; es klirrt der Sporn. Ich darf allhier nicht hausen. Komm, schürze, spring’ und schwinge dich Auf meinen Rappen hinter mich! Muß heut noch hundert Meilen Mit dir in’s Brautbett’ eilen.“ – „Ach! wolltest hundert Meilen noch Mich heut ins Brautbett’ tragen? Und horch! es brummt die Glocke noch, Die elf schon angeschlagen.“ – – „Sieh hin, sieh her! der Mond scheint hell. Wir und die Toten reiten schnell. Ich bringe dich, zur Wette, Noch heut ins Hochzeitbette.“ – „Sag an, wo ist dein Kämmerlein? Wo? Wie dein Hochzeitbettchen?“ – „Weit, weit von hier! – – Still, kühl und klein! – – Sechs Bretter und zwei Brettchen!“ – „Hat’s Raum für mich?“ – „Für dich und mich! Komm, schürze, spring’ und schwinge dich! Die Hochzeitsgäste hoffen; Die Kammer steht uns offen.“ – Schön Liebchen schürzte, sprang und schwang Sich auf das Roß behende; Wohl um den trauten Reiter schlang Sie ihre Lilienhände; Und hurre, hurre, hop hop hop! Ging’s fort in sausendem Galopp, Daß Roß und Reiter schnoben, Und Kies und Funken stoben. Zur rechten und zur linken Hand, Vorbei vor ihren Blicken, Wie flogen Anger, Heid’ und Land! Wie donnerten die Brücken! – „Graut Liebchen auch? – – Der Mond scheint hell! Hurrah! Die Toten reiten schnell! Graut Liebchen auch vor Toten?“ – „Ach nein! – – Doch laß die Toten!“ – Was klang dort für Gesang und Klang? Was flatterten die Raben? – – Horch Glockenklang! horch Totensang: „Laßt uns den Leib begraben!“ Und näher zog ein Leichenzug, Der Sarg und Totenbahre trug. Das Lied war zu vergleichen Dem Unkenruf in Teichen. „Nach Mitternacht begrabt den Leib, Mit Klang und Sang und Klage! Jetzt führ’ ich heim mein junges Weib. Mit, mit zum Brautgelage! Komm, Küster, hier! Komm mit dem Chor, Und gurgle mir das Brautlied vor! Komm, Pfaff’, und sprich den Segen, Eh wir zu Bett’ uns legen!“ – Still Klang und Sang. – – Die Bahre schwand. – – Gehorsam seinem Rufen, Kam’s, hurre hurre! nachgerannt, Hart hinter’s Rappen Hufen. Und immer weiter, hop hop hop! Ging’s fort in sausendem Galopp, Daß Roß und Reiter schnoben, Und Kies und Funken stoben. Wie flogen rechts, wie flogen links, Gebirge, Bäum’ und Hecken! Wie flogen links, und rechts, und links Die Dörfer, Städt’ und Flecken! – „Graut Liebchen auch? – – Der Mond scheint hell! Hurrah! Die Toten reiten schnell! Graut Liebchen auch vor Toten?“ – „Ach! Laß sie ruhn, die Toten.“ – Sieh da! sieh da! Am Hochgericht Tanzt’ um des Rades Spindel Halb sichtbarlich bei Mondenlicht, Ein lustiges Gesindel. – „Sasa! Gesindel, hier! Komm hier! Gesindel, komm und folge mir! Tanz’ uns den Hochzeitreigen, Wann wir zu Bette steigen!“ – Und das Gesindel husch husch husch! Kam hinten nachgeprasselt, Wie Wirbelwind am Haselbusch Durch dürre Blätter rasselt. Und weiter, weiter, hop hop hop! Ging’s fort in sausendem Galopp, Daß Roß und Reiter schnoben, Und Kies und Funken stoben. Wie flog, was rund der Mond beschien, Wie flog es in die Ferne! Wie flogen oben über hin Der Himmel und die Sterne! – „Graut Liebchen auch? – – Der Mond scheint hell! Hurrah! die Toten reiten schnell! Graut Liebchen auch vor Toten?“ – „O weh! Laß ruhn die Toten!“ – – – „Rapp’! Rapp’! Mich dünkt der Hahn schon ruft – – Bald wird der Sand verrinnen – – Rapp’! Rapp’! Ich wittre Morgenluft – – Rapp’! Tummle dich von hinnen! – Vollbracht, vollbracht ist unser Lauf! Das Hochzeitsbette tut sich auf! Die Toten reiten schnelle! Wir sind, wir sind zur Stelle.“ – – – Rasch auf ein eisern Gittertor Ging’s mit verhängtem Zügel. Mit schwanker Gert’ ein Schlag davor Zersprengte Schloß und Riegel. Die Flügel flogen klirrend auf, Und über Gräber ging der Lauf. Es blinkten Leichensteine Rundum im Mondenscheine. Ha sieh! Ha sieh! im Augenblick, Huhu! ein gräßlich Wunder! Des Reiters Koller, Stück für Stück, Fiel ab, wie mürber Zunder. Zum Schädel, ohne Zopf und Schopf, Zum nackten Schädel ward sein Kopf; Sein Körper zum Gerippe, Mit Stundenglas und Hippe. Hoch bäumte sich, wild schnob der Rapp’, Und sprühte Feuerfunken; Und hui! war’s unter ihr hinab Verschwunden und versunken. Geheul! Geheul aus hoher Luft, Gewinsel kam aus tiefer Gruft. Lenorens Herz, mit Beben, Rang zwischen Tod und Leben. Nun tanzten wohl bei Mondenglanz, Rund um herum im Kreise, Die Geister einen Kettentanz, Und heulten diese Weise: „Geduld! Geduld! Wenn’s Herz auch bricht! Mit Gott im Himmel hadre nicht! Des Leibes bist du ledig; Gott sei der Seele gnädig!“ Johann Wolfgang Goethe Kleine Blumen, Kleine Blätter Kleine Blumen, Kleine Blätter Streuen mir mit leichter Hand Gute iunge FrühlingsGötter Tandlent auf ein luftig Band Zephier nimms auf deine Flügel 5 Schlings um meiner Liebsten Kleid Und dan tritt sie für den Spiegel Mit zufriedener Munterkeit Sieht mit Rosen sich umgeben Sie wie eine Rosse iung 10 – einen Kuß geliebtes Leben Und ich bin belohnt genug, Schicksal Seegne diese trieben Laß mich ihr und laß Sie mein Laß das Leben unsrer Liebe 15 Doch kein Rossen Leben sein Mädgen das wie ich Empfindet Reig mir deine Liebe Hand Und das Band daß uns verbindet sey kein schwages Rossen Band. Friedrich Schiller Die Kraniche des Ibycus Zum Kampf der Wagen und Gesänge, Der auf Corinthus Landesenge Der Griechen Stämme froh vereint, Zog Ibycus, der Götterfreund. Ihm schenkte des Gesanges Gabe, Der Lieder süßen Mund Apoll, So wandert er, an leichtem Stabe, Aus Rhegium, des Gottes voll. Schon winkt auf hohem Bergesrücken Acrocorinth des Wandrers Blicken, Und in Poseidons Fichtenhayn Tritt er mit frommem Schauder ein. Nichts regt sich um ihn her, nur Schwärme Von Kranichen begleiten ihn, Die fernhin nach des Südens Wärme 15 In graulichtem Geschwader ziehn. Seid mir gegrüßt, befreundte Schaaren! Die mir zur See Begleiter waren. Zum guten Zeichen nehm ich euch, Mein Loos, es ist dem euren gleich.Von fernher kommen wir gezogen, Und flehen um ein wirthlich Dach. Sei uns der Gastliche gewogen, Der von dem Fremdling wehrt die Schmach! Und munter fördert er die Schritte, Und sieht sich in des Waldes Mitte, Da sperren, auf gedrangem Steg, Zwey Mörder plötzlich seinen Weg. Zum Kampfe muß er sich bereiten, Doch bald ermattet sinkt die Hand, Sie hat der Leyer zarte Saiten, Doch nie des Bogens Kraft gespannt. Er ruft die Menschen an, die Götter, Sein Flehen dringt zu keinem Retter, Wie weit er auch die Stimme schickt, Nicht lebendes wird hier erblickt. „So muß ich hier verlassen sterben, Auf fremdem Boden, unbeweint, Durch böser Buben Hand verderben, Wo auch kein Rächer mir erscheint!“ Und schwer getroffen sinkt er nieder, Da rauscht der Kraniche Gefieder, Er hört, schon kann er nicht mehr sehn, Die nahen Stimmen furchtbar krähn. „Von euch ihr Kraniche dort oben! Wenn keine andre Stimme spricht, Sey meines Mordes Klag erhoben!“ Er ruft es, und sein Auge bricht. Der nakte Leichnam wird gefunden, Und bald, obgleich entstellt von Wunden, Erkennt der Gastfreund in Corinth Die Züge, die ihm theuer sind. „Und muß ich so dich wiederfinden, Und hoffte mit der Fichte Kranz Des Sängers Schläfe zu umwinden, Bestrahlt von seines Ruhmes Glanz!“ Und jammernd hörens alle Gäste, Versammelt bey Neptunus Feste, Ganz Griechenland ergreift der Schmerz, Verloren hat ihn jedes Herz, Und stürmend drängt sich zum Prytanen Das Volk, es fodert seine Wut Zu rächen des Erschlagnen Manen, Zu sühnen mit des Mörders Blut. Doch wo die Spur, die aus der Menge, Der Völker flutendem Gedränge, Gelocket von der Spiele Pracht, Den schwarzen Thäter kenntlich macht? Sinds Räuber, die ihn feig erschlagen? Thats neidisch ein verborgner Feind? Nur Helios vermags zu sagen, Der alles Irrdische bescheint! Er geht vielleicht, mit frechem Schritte, Jetzt eben durch der Griechen Mitte, Und während ihn die Rache sucht, Genießt er seines Frevels Frucht. Auf ihres eignen Tempels Schwelle Trotzt er vielleicht den Göttern, mengt Sich dreist in jene Menschenwelle, Die dort sich zum Theater drängt. Denn Bank an Bank gedränget sitzen, Es brechen fast der Bühne Stützen, Herbeygeströmt von Fern und Nah, Der Griechen Völker wartend da, Dumpfbrausend wie des Meeres Wogen, Von Menschen wimmelnd wächst der Bau, In weiter stets geschweiftem Bogen Hinauf bis in des Himmels Blau. Wer zählt die Völker, nennt die Nahmen, Die gastlich hier zusammen kamen? Von Theseus Stadt, von Aulis Strand, Von Phocis, vom Spartanerland, Von Asiens entlegner Küste, Von allen Inseln kamen sie, Und horchen von dem Schaugerüste Des Chores grauser Melodie – Der streng und ernst, nach alter Sitte, Mit langsam abgemeßnem Schritte, Hervortritt aus dem Hintergrund, Umwandelnd des Theaters Rund. So schreiten keine irrdschen Weiber, Die zeugete kein sterblich Haus! Es steigt das Riesenmaaß der Leiber Hoch über menschliches hinaus. Ein schwarzer Mantel schlägt die Lenden, Sie schwingen in entfleischten Händen Der Fackel düsterrothe Glut, In ihren Wangen fließt kein Blut. Und wo die Haare lieblich flattern, Um Menschenstirnen freundlich wehn, Da sieht man Schlangen hier und Nattern Die giftgeschwollnen Bäuche blähn. Und schauerlich gedreht im Kreise, Beginnen sie des Hymnus Weise, Der durch das Herz zerreissend dringt, Die Bande um den Sünder schlingt. Besinnungraubend, Herzbethörend Schallt der Erinnyen Gesang, Er schallt, des Hörers Mark verzehrend, Und duldet nicht der Leier Klang. „Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle Bewahrt die kindlich reine Seele! Ihm dürfen wir nicht rächend nahn, Er wandelt frei des Lebens Bahn. Doch wehe wehe, wer verstohlen Des Mordes schwere That vollbracht, Wir heften uns an seine Sohlen, Das furchtbare Geschlecht der Nacht! Und glaubt er fliehend zu entspringen, Geflügelt sind wir da, die Schlingen Ihm werfend um den flüchtgen Fuß, Daß er zu Boden fallen muß. So jagen wir ihn, ohn Ermatten, Versöhnen kann uns keine Reu, Ihn fort und fort bis zu den Schatten, Und geben ihn auch dort nicht frei.“ So singend tanzen sie den Reigen, Und Stille wie des Todes Schweigen Liegt überm ganzen Hause schwer, Als ob die Gottheit nahe wär’. Und feierlich, nach alter Sitte Umwandelnd des Theaters Rund, Mit langsam abgemeßnem Schritte, Verschwinden sie im Hintergrund. Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet Noch zweifelnd jede Brust und bebet, Und huldiget der furchtbarn Macht, Die richtend im Verborgnen wacht, Die unerforschlich, unergründet, Des Schicksals dunkeln Knäuel flicht, Dem tiefen Herzen sich verkündet, Doch fliehet vor dem Sonnenlicht. Da hört man auf den höchsten Stufen Auf einmal eine Stimme rufen: „Sieh da! Sieh da, Timotheus, Die Kraniche des Ibycus!“ – Und finster plötzlich wird der Himmel, Und über dem Theater hin, Sieht man, in schwärzlichtem Gewimmel, Ein Kranichheer vorüberziehn. „Des Ibycus!“ Der theure Nahme Rührt jede Brust mit neuem Grame, Und, wie im Meere Well auf Well, So läufts von Mund zu Munde schnell. „Des Ibycus, den wir beweinen, Den eine Mörderhand erschlug! Was ists mit dem? Was kann er meinen? Was ists mit diesem Kranichzug?“ – Und lauter immer wird die Frage, Und ahnend fliegts, mit Blitzesschlage, Durch alle Herzen „Gebet acht! Das ist der Eumeniden Macht! Der fromme Dichter wird gerochen, Der Mörder bietet selbst sich dar. Ergreift ihn, der das Wort gesprochen, Und ihn, an den’s gerichtet war.“ Doch dem war kaum das Wort entfahren, Möcht’ ers im Busen gern bewahren; Umsonst, der schreckenbleiche Mund Macht schnell die Schuldbewußten kund. 180 Man reißt und schleppt sie vor den Richter; Die Scene wird zum Tribunal, Und es gestehn die Bösewichter, Getroffen von der Rache Strahl. Friedrich Hölderlin An unsere großen Dichter Des Ganges Ufer hörten des Freudengotts Triumph, als allerobernd vom Indus her Der junge Bacchus kam, mit heilgem Weine vom Schlafe die Völker wekend. O wekt, ihr Dichter! wekt sie vom Schlummer auch, Die jezt noch schlafen, gebt die Gesetze, gebt Uns Leben, siegt, Heroën! ihr nur Habt der Eroberung Recht, wie Bacchus. Heinrich Heine Carl I. Im Wald, in der Köhlerhütte sitzt Trübsinnig allein der König; Er sitzt an der Wiege des Köhlerkind’s Und wiegt und singt eintönig: Eyapopeya, was raschelt im Stroh? Es blöken im Stalle die Schafe – Du trägst das Zeichen an der Stirn Und lächelst so furchtbar im Schlafe. Eyapopeya, das Kätzchen ist todt – Du trägst auf der Stirne das Zeichen – Du wirst ein Mann und schwingst das Beil, Schon zittern im Walde die Eichen. Der alte Köhlerglaube verschwand, Es glauben die Köhlerkinder – Eyapopeya – nicht mehr an Gott Und an den König noch minder. Das Kätzchen ist todt, die Mäuschen sind froh – Wir müssen zu Schanden werden – Eyapopeya – im Himmel der Gott Und ich, der König auf Erden. Mein Muth erlischt, mein Herz ist krank, Und täglich wird es kränker – Eyapopeya – du Köhlerkind Ich weiß es, du bist mein Henker. Mein Todesgesang ist dein Wiegenlied – Eyapopeya – die greisen Haarlocken schneidest du ab zuvor – Im Nacken klirrt mir das Eisen. Eyapopeya, was raschelt im Stroh – Du hast das Reich erworben, Und schlägst mir das Haupt vom Rumpf herab – Das Kätzchen ist gestorben. Eyapopeya, was raschelt im Stroh? Es blöken im Stalle die Schafe. Das Kätzchen ist todt, die Mäuschen sind froh – Schlafe, mein Henkerchen, schlafe! Theodor Storm Oktoberlied Der Nebel steigt, es fällt das Laub; Schenk’ ein den Wein, den holden! Wir wollen uns den grauen Tag Vergolden, ja vergolden! Und geht es draußen noch so toll, Unchristlich oder christlich, Ist doch die Welt, die schöne Welt, So gänzlich unverwüstlich! Und wimmert auch einmal das Herz, – Stoß an, und laß es klingen! Wir wissen’s doch, ein rechtes Herz Ist gar nicht umzubringen. Der Nebel steigt, es fällt das Laub; Schenk’ ein den Wein, den holden! Wir wollen uns den grauen Tag Vergolden, ja vergolden! Wohl ist es Herbst; doch warte nur, Doch warte nur ein Weilchen! Der Frühling kommt, der Himmel lacht, Es steht die Welt in Veilchen. Die blauen Tage brechen an; Und ehe sie verfließen, Wir wollen sie, mein wackrer Freund, Genießen, ja genießen! Theodor Fontane John Maynard „Wer ist John Maynard?“„John Maynard war unser Steuermann, aushielt er, bis er das Ufer gewann, er hat uns gerettet, er trägt die Kron', er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn. John Maynard.“ Die „Schwalbe“ fliegt über den Erie-See, Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee; von Detroit fliegt sie nach Buffalo - die Herzen aber sind frei und froh, und die Passagiere mit Kindern und Fraun im Dämmerlicht schon das Ufer schaun, und plaudernd an John Maynard heran tritt alles: „Wie weit noch, Steuermann?“ Der schaut nach vorn und schaut in die Rund: „Noch dreißig Minuten ... Halbe Stund.“ Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei - da klingt's aus dem Schiffsraum her wie Schrei, „Feuer!“ war es, was da klang, ein Qualm aus Kajüt und Luke drang, ein Qualm, dann Flammen lichterloh, und noch zwanzig Minuten bis Buffalo. Und die Passagiere, bunt gemengt, am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt, am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht, am Steuer aber lagert sich´s dicht, und ein Jammern wird laut: „Wo sind wir? wo?“ Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo. - Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht der Kapitän nach dem Steuer späht, er sieht nicht mehr seinen Steuermann, aber durchs Sprachrohr fragt er an: „Noch da, John Maynard?“ „Ja, Herr. Ich bin.“ „Auf den Strand! In die Brandung!“ „Ich halte drauf hin.“ Und das Schiffsvolk jubelt: „Halt aus! Hallo!“ Und noch zehn Minuten bis Buffalo. - - „Noch da, John Maynard?“ Und Antwort schallt's mit ersterbender Stimme: „Ja, Herr, ich halt's!“ Und in die Brandung, was Klippe, was Stein, jagt er die „Schwalbe“ mitten hinein. Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so. Rettung: der Strand von Buffalo! Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt. Gerettet alle. Nur einer fehlt! Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell'n himmelan aus Kirchen und Kapell'n, ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt, ein Dienst nur, den sie heute hat: Zehntausend folgen oder mehr, und kein Aug' im Zuge, das tränenleer. Sie lassen den Sarg in Blumen hinab, mit Blumen schließen sie das Grab, und mit goldner Schrift in den Marmorstein schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein: „Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand hielt er das Steuer fest in der Hand, er hat uns gerettet, er trägt die Kron, er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn. John Maynard.“ Arno Holz Drei Tage lang Drei Tage lang fiel in den Fluss Fu ein Regen von Pfirsichblüten. Aus ihren gelben Seidengewändern tauchten die Mädchen und sangen. Sie wateten ins Wasser, spritzten, kreischten und kitzelten die Schwäne. Die Schönste, lächelnd, beide Arme unterm Kopf, liess sich von der Strömung treiben. Rot, wie ein Flammenmantel, floss um sie ihr Haar, zwei kleine Tröpfchen perlten noch auf ihren Brüsten. Leda lag nicht nackter. Die bunten Wellen schaukelten sie an meine schwimmende Insel. Oh! Ein schwarzes Bocksgestell, ein Eselsbauch, ein altes, dickbehaartes Vieh mit Hörnern! Ihre langen Wimpern schlossen sich, um ihre weissen, zitternden Kniee drängten sich, wankten Narzissen ... Sie schlug die Augen auf. Ich liess sie nicht. Sie bettelte: Nicht kitzeln, nein? Süsser! Zehn zarte, rosenrote Finger krallten verliebt in meinen Zottelpelz. Au! Racker! Du beisst ja! Ist das der Dank? Sie kicherte. Stefan George Hyperion I-III DEM SEHNENDEN WAR DER WINK GENUG × UND WINKE SIND VON ALTERS HER DIE SPRACHE DER G ÖTTER I Wo an entlegnem gestade Muss ich vor alters entstammt sein Brüder des volkes? Dass ich mit euch wohl geniessend Wein und getreid unsres landes Fremdling euch bleibe? So wie sich sondert des sohns Ahnender stolz von geschwistern Späterer heirat Selbst unter freundlichen spielen Innerlich fern und versichert Besseren vaters. Ihr die in sinnen verstrickten Ihr die in tönen verströmten Schlaff dann beim werke: Klagend an ach welchen wassern Weinend an ach welchen weiden Nach – welchem glücke! Lernt nicht des tanzenden schritte Holde gebärde der freude Roh da ihr schwank seid- Fruchtbarem bund nicht gefüge Ihr auch zu zweien allein: Ihr mit dem spiegel. II Ahnung gesellt mich zu euch kinder des Inselgebiets Die ihr in anmut die tat bilder in hoheit ersannt Spartas gebändigten mut Ioniens süsse vermählt. Jugendlich tanzt Der den chor helden gestaltend als mann Lieblichen gastmahls ist herr lenker in staates gefahr Eifernder stämme bewerb einigte tempel und spiel Und keine weisheit bis heut hat dort die Gründer vertieft. Was diese meere befuhr was diese küsten durchzog! Wo als die neige schon nah unter zypressen des tals Weitester lehrer der zeit adligsten schüler geführt. Ihr habt Erlesne des glücks wo ihr auch griffet gesiegt Die ihr von greisen den schatz enkeln gesamt übertrugt Die ihr in fleisch und in erz muster dem menschtum geformt Die ihr in reigen und rausch unsere götter gebart. Weh! ruft der tausende schrei: dass dies musst untergehn! Dass nach dem furchtbaren fug leben am leben erstirbt! Weh! auf des Syrers gebot stürzte die lichtwelt in nacht. III Ich kam zur heimat: solch gewog von blüten Empfing mich nie . . ein pochen war im feld In meinem hain von schlafenden gewalten Ich sah euch fluss und berg und gau im bann Und brüder euch als künftige sonnen-erben: In eurem scheuen auge ruht ein traum Einst wird in euch zu blut der sehnsucht sinnen . . . Mein leidend leben neigt dem schlummer zu Doch gütig lohnt der Himmlischen verheissung Dem frommen . . der im Reich nie wandeln darf: Ich werde heldengrab · ich werde scholle Der heilige sprossen zur vollendung nahn: MIT DIESEN KOMMT DAS ZWEITE ALTER · LIEBE G EBAR DIE WELT · LIEBE GEBIERT SIE NEU. Ich sprach den spruch · der zirkel ist gezogen . . Eh mich das dunkel überholt entrückt Mich hohe schau: bald geht mit leichten sohlen Durch teure flur greifbar im glanz der Gott. Hugo von Hofmannsthal Vorfrühling Es läuft der Frühlingswind Durch kahle Alleen, Seltsame Dinge sind In seinem Wehn. Er hat sich gewiegt, Wo Weinen war, Und hat sich geschmiegt In zerrüttetes Haar. Er schüttelte nieder Akazienblüten Und kühlte die Glieder, Die atmend glühten. Lippen im Lachen Hat er berührt, Die weichen und wachen Fluren durchspürt. Er glitt durch die Flöte Als schluchzender Schrei, An dämmernder Röte Flog er vorbei. Er flog mit Schweigen Durch flüsternde Zimmer Und löschte im Neigen Der Ampel Schimmer. Es läuft der Frühlingswind Durch kahle Alleen, Seltsame Dinge sind In seinem Wehn. Durch die glatten Kahlen Alleen Treibt sein Wehen Blasse Schatten Und den Duft, Den er gebracht, Von wo er gekommen Seit gestern nacht. Rainer Maria Rilke Rose, oh reiner Widerspruch Rose, oh reiner Widerspruch, Lust, Niemandes Schlaf zu sein unter soviel Lidern. Gottfried Benn Bitte wo – Wenn du noch Sehnsucht hättest (bitte wann, bitte wo), dich noch mit Küssen kettest (amour – bel oiseau), wenn du noch flügelrauschend über den Anden schwebst dich in zwei Meere tauschend ahnungslos, wenn du lebst, wenn noch die Qualen sprechen, Tränen durch bel oiseau dich stürzen und zerbrechen – bitte wann – bitte wo? – Georg Trakl Helian In den einsamen Stunden des Geistes Ist es schön, in der Sonne zu gehn An den gelben Mauern des Sommers hin. Leise klingen die Schritte im Gras; doch immer schläft Der Sohn des Pan im grauen Marmor. Abends auf der Terrasse betranken wir uns mit braunem Wein. Rötlich glüht der Pfirsich im Laub; Sanfte Sonate, frohes Lachen. Schön ist die Stille der Nacht. Auf dunklem Plan Begegnen wir uns mit Hirten und weißen Sternen. Wenn es Herbst geworden ist Zeigt sich nüchterne Klarheit im Hain. Besänftigte wandeln wir an roten Mauern hin Und die runden Augen folgen dem Flug der Vögel. Am Abend sinkt das weiße Wasser in Graburnen. In kahlen Gezweigen feiert der Himmel. In reinen Händen trägt der Landmann Brot und Wein Und friedlich reifen die Früchte in sonniger Kammer. O wie ernst ist das Antlitz der teueren Toten. Doch die Seele erfreut gerechtes Anschaun. Gewaltig ist das Schweigen des verwüsteten Gartens, Da der junge Novize die Stirne mit braunem Laub bekränzt, Sein Odem eisiges Gold trinkt. Die Hände rühren das Alter bläulicher Wasser Oder in kalter Nacht die weißen Wangen der Schwestern. Leise und harmonisch ist ein Gang an freundlichen Zimmern hin, Wo Einsamkeit ist und das Rauschen des Ahorns, Wo vielleicht noch die Drossel singt. Schön ist der Mensch und erscheinend im Dunkel, Wenn er staunend Arme und Beine bewegt, Und in purpurnen Höhlen stille die Augen rollen. Zur Vesper verliert sich der Fremdling in schwarzer Novemberzerstörung, Unter morschem Geäst, an Mauern voll Aussatz hin, Wo vordem der heilige Bruder gegangen,Versunken in das sanfte Saitenspiel seines Wahnsinns, O wie einsam endet der Abendwind. Ersterbend neigt sich das Haupt im Dunkel des Ölbaums. Erschütternd ist der Untergang des Geschlechts. In dieser Stunde füllen sich die Augen des Schauenden Mit dem Gold seiner Sterne. Am Abend versinkt ein Glockenspiel, das nicht mehr tönt, Verfallen die schwarzen Mauern am Platz, Ruft der tote Soldat zum Gebet. Ein bleicher Engel Tritt der Sohn ins leere Haus seiner Väter. Die Schwestern sind ferne zu weißen Greisen gegangen. Nachts fand sie der Schläfer unter den Säulen im Hausflur, Zurückgekehrt von traurigen Pilgerschaften. O wie starrt von Kot und Würmern ihr Haar, Da er darein mit silbernen Füßen steht, Und jene verstorben aus kahlen Zimmern treten. O ihr Psalmen in feurigen Mitternachtsregen, Da die Knechte mit Nesseln die sanften Augen schlugen, Die kindlichen Früchte des Hollunders Sich staunend neigen über ein leeres Grab. Leise rollen vergilbte Monde Über die Fieberlinnen des Jünglings, Eh dem Schweigen des Winters folgt. Ein erhabenes Schicksal sinnt den Kidron hinab, Wo die Zeder, ein weiches Geschöpf, Sich unter den blauen Brauen des Vaters entfaltet, Über die Weide nachts ein Schäfer seine Herde führt. Oder es sind Schreie im Schlaf, Wenn ein eherner Engel im Hain den Menschen antritt, Das Fleisch des Heiligen auf glühendem Rost hinschmilzt. Um die Lehmhütten rankt purpurner Wein, Tönende Bündel vergilbten Korns, Das Summen der Bienen, der Flug des Kranichs. Am Abend begegnen sich Auferstandene auf Felsenpfaden. In schwarzen Wassern spiegeln sich Aussätzige; Oder sie öffnen die kotbefleckten Gewänder Weinend dem balsamischen Wind, der vom rosigen Hügel weht. Schlanke Mägde tasten durch die Gassen der Nacht, Ob sie den liebenden Hirten fänden. Sonnabends tönt in den Hütten sanfter Gesang. Lasset das Lied auch des Knaben gedenken, Seines Wahnsinns, und weißer Brauen und seines Hingangs, Des Verwesten, der bläulich die Augen aufschlägt. O wie traurig ist dieses Wiedersehn. Die Stufen des Wahnsinns in schwarzen Zimmern, Die Schatten der Alten unter der offenen Tür, Da Helians Seele sich im rosigen Spiegel beschaut Und Schnee und Aussatz von seiner Stirne sinken. An den Wänden sind die Sterne erloschen Und die weißen Gestalten des Lichts. Dem Teppich entsteigt Gebein der Gräber, Das Schweigen verfallener Kreuze am Hügel, Des Weihrauchs Süße im purpurnen Nachtwind. O ihr zerbrochenen Augen in schwarzen Mündern, Da der Enkel in sanfter Umnachtung Einsam dem dunkleren Ende nachsinnt, Der stille Gott die blauen Lider über ihn senkt. Jakob van Hoddis Weltende Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut, In allen Lüften hallt es wie Geschrei. Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut. Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken. Die meisten Menschen haben einen Schnupfen. Die Eisenbahnen fallen von den Brücken. Berthold Heinrich Brockes Das Blümlein Vergißmeinnicht An einem wallenden, kristallengleichen Bach, Der allgemach Die glatte Flut durch tausend Blumen lenkte Und schlanke Binsen, Klee und Gras mit silberreinen Tropfen tränkte, Saß ich an einem kleinen Hügel, Bewunderte bald in der blauen Flut Des Luftsaphirs saphirnen Spiegel, Bald den smaragdnen Rahm' des Grases, dessen Grün, Der güldne Sonnenstrahl beschien, Und fand von Kräutern, Gras und Klee In so viel tausend schönen Blättern Aus dieses Weltbuchs ABC So viel, so schön gemalt, so rein gezogne Lettern, Daß ich, dadurch gerührt, den Inhalt dieser Schrift Begierig wünschte zu verstehn. Ich konnte es überhaupt auch alsbald sehn Und, daß er von des großen Schöpfers Wesen Ganz deutlich handelte, ganz deutlich lesen. Ein jedes Gräschen war mit Linien geziert, ein jedes Blatt war vollgeschrieben; Denn jedes Äderchen, durch Licht illuminiert, Stellt' einen Buchstab vor. Allein, Was eigentlich die Worte sein, Blieb mir noch unbekannt, Bis der Vergißmeinnicht fast himmelblauer Schein, Der in dem holden Grüne strahlte Und in dem Mittelpunkt viel güldne Striche malte, Mir einen klaren Unterricht von dreien Worten gab, indem mich ihre Pracht Auf die Gedanken bracht: Da Gott in allem, was wir sehen, Uns sein' Allgegenwart und wie er alles liebet So wunderbarlich zu verstehen, So deutlich zu erkennen gibet; So deucht mir, hör ich durchs Gesicht, Daß in dem saubern Blümchen hier Sowohl zu dir als mir Der Schöpfer der Vergißmeinnicht selbst spricht: Vergiß mein nicht! Friedrich Gottlieb Klopstock Die frühen Gräber Willkommen, o silberner Mond, Schöner, stiller Gefährt der Nacht! Du entfliehst? Eile nicht, bleib, Gedankenfreund! Sehet, er bleibt, das Gewölk wallte nur hin. Des Mayes Erwachen ist nur Schöner noch wie die Sommernacht, Wenn ihm Thau, hell wie Licht, aus der Locke träuft, Und zu dem Hügel herauf röthlich er kömt. Ihr Edleren, ach es bewächst Eure Maale schon ernstes Moos! O wie war glücklich ich, als ich noch mit euch Sähe sich röthen den Tag, schimmern die Nacht. Nikolaus Lenau Aus Waldliedern. Wie Merlin Wie Merlin Möcht ich durch die Wälder ziehn; Was die Stürme wehen, Was die Donner rollen Und die Blitze wollen, Was die Bäume sprechen, Wenn sie brechen, Möcht ich wie Merlin verstehen. Voll Gewitterlust Wirft im Sturme hin Sein Gewand Merlin, Daß die Lüfte kühlen, Blitze ihm bespülen eine nackte Brust. Wurzelfäden streckt Eiche in den Grund, Unten saugt versteckt Tausendfach ihr Mund Leben aus geheimen Quellen, Die den Stamm gen Himmel schwellen. Flattern läßt sein Haar Merlin In der Sturmnacht her und hin, Und es sprühn die feurig falben Blitze, ihm das Haupt zu salben; Die Natur, die offenbare, Traulich sich mit ihm verschwisternd, Tränkt sein Herz, wenn Blitze knisternd Küssen seine schwarzen Haare. – – Das Gewitter ist vollbracht, Stille ward die Nacht; Heiter in die tiefsten Gründe Ist der Himmel nach dem Streite, Wer die Waldesruh verstünde Wie Merlin, der Eingeweihte! Frühlingsnacht! kein Lüftchen weht, Nicht die schwanksten Halme nicken, Jedes Blatt, von Mondesblicken Wie bezaubert, stille steht. Still die Götter zu beschleichen Und die ewigen Gesetze, In den Schatten hoher Eichen Wacht der Zaubrer, einsam sinnend, Zwischen ihre Zweige spinnend Heimliche Gedankennetze. Stimmen, die den andern schweigen, Jenseits ihrer Hörbarkeiten, Hört Merlin vorübergleiten, Alles rauscht im vollen Reigen, Denn die Königin der Elfen Oder eine kluge Norn Hält, dem Sinne nachzuhelfen, Ihm ans Ohr ein Zauberhorn. Rieseln hört er, springend schäumen Lebensfluten in den Bäumen; Vögel schlummern auf den Ästen Nach des Tages Liebesfesten, Doch ihr Schlaf ist auch beglückt; Lauschend hört Merlin entzückt Unter ihrem Brustgefieder Träumen ihre künftgen Lieder. Klingend strömt des Mondes Licht Auf die Elch und Hagerose, Und im Kelch der feinsten Moose Tönt das ewige Gedicht. Friedrich Rückert Chidher Chidher, der ewig junge, sprach: Ich fuhr an einer Stadt vorbei, Ein Mann im Garten Früchte brach; Ich fragte, seit wann die Stadt hier sei? Er sprach, und pflückte die Früchte fort: Die Stadt steht ewig an diesem Ort, Und wird so stehen ewig fort. Und aber nach fünfhundert Jahren Kam ich desselbigen Wegs gefahren. Da fand ich keine Spur der Stadt; Ein einsamer Schäfer blies die Schalmei, Die Herde weidete Laub und Blatt; Ich fragte: Wie lang ist die Stadt vorbei? Er sprach, und blies auf dem Rohre fort: Das eine wächst wenn das andre dorrt; Das ist mein ewiger Weideort. Und aber nach fünfhundert Jahren Kam ich desselbigen Wegs gefahren. Da fand ich ein Meer, das Wellen schlug, Ein Schiffer warf die Netze frei:Und als er ruhte vom schweren Zug, Fragt ich, seit wann das Meer hier sei? Er sprach, und lachte meinem Wort: Solang als schäumen die Wellen dort, Fischt man und fischt man in diesem Port. Und aber nach fünfhundert Jahren Kam ich desselbigen Wegs gefahren. Da fand ich einen waldigen Raum, Und einen Mann in der Siedelei, Er fällte mit der Axt den Baum; Ich fragte, wie alt der Wald hier sei? Er sprach: Der Wald ist ein ewiger Hort; Schon ewig wohn ich an diesem Ort, Und ewig wachsen die Bäum hier fort. Und aber nach fünfhundert Jahren Kam ich desselbigen Wegs gefahren. Da fand ich einen waldigen Raum, Und einen Mann in der Siedelei, Er fällte mit der Axt den Baum; Ich fragte, wie alt der Wald hier sei? Er sprach: der Wald ist ein ewiger Hort; Schon ewig wohn ich an diesem Ort, Und ewig wachsen die Bäum hier fort. Und aber nach fünfhundert Jahren Kam ich desselbigen Wegs gefahren Da fand ich eine Stadt, und laut Erschallte der Markt vom Volksgeschrei. Ich fragte: seit wann ist die Stadt erbaut? Wohin ist Wald und Meer und Schalmei? Sie schrien, und hörten nicht mein Wort: So ging es ewig an diesem Ort, Und wird so gehen ewig fort. Und aber nach fünfhundert Jahren Will ich desselbigen Weges fahren. Der Frost hat mir bereifet des Hauses Dach; Doch warm ist mir's geblieben im Wohngemach. Der Winter hat die Scheitel mir weiß gedeckt; Doch fließt das Blut, das rote, durchs Herzgemach. Der Jugendflor der Wangen, die Rosen sind Gegangen, all gegangen einander nach - Wo sind sie hingegangen? ins Herz hinab: Da blühn sie nach Verlangen, wie vor so nach. Sind alle Freudenströme der Welt versiegt? Noch fließt mir durch den Busen ein stiller Bach. Sind alle Nachtigallen der Flur verstummt? Noch ist bei mir im Stillen hier eine wach. Sie singet: »Herr des Hauses! verschleuß dein Tor, Daß nicht die Welt, die kalte, dring ins Gemach. Schleuß aus den rauher Odem der Wirklichkeit, Und nur dem Duft der Träume gib Dach und Fach!« Ich habe Wein und Rosen in jedem Lied, und habe solcher Lieder noch tausendfach. Vom Abend bis zum Morgen und Nächte durch will ich dir singen Jugend und Liebesweh. Nun will die Sonn' so hell aufgehn, Als sei kein Unglück die Nacht geschehn! Das Unglück geschah nur mir allein! Die Sonne, sie scheinet allgemein! Du musst nicht die Nacht in dir verschränken, Musst sie ins ew'ge Licht versenken! Ein Lämplein verlosch in meinem Zelt! Heil sei dem Freudenlicht der Welt! Nelly Sachs Dein Leib im Rauch durch die Luft O die Schornsteine O die Schornsteine Auf den sinnreich erdachten Wohnungen des Todes, Als Israels Leib zog aufgelöst in Rauch Durch die Luft - Als Essenkehrer ihn ein Stern empfing Der schwarz wurde Oder war es ein Sonnenstrahl? O die Schornsteine! Freiheitswege für Jeremias und Hiobs Staub - Wer erdachte euch und baute Stein auf Stein Den Weg für Flüchtlinge aus Rauch? O die Wohnungen des Todes, Einladend hergerichtet Für den Wirt des Hauses, der sonst Gast war - O ihr Finger, Die Eingangsschwelle legend Wie ein Messer zwischen Leben und Tod - O ihr Schornsteine, O ihr Finger, Und Israels Leib im Rauch durch die Luft! Anna Louisa Karsch(in) An Hern Uz, den Verfasser der lyrischen Gedichte Du, der, vom Weine berauscht, die Lust der Erde besungen, Mir gab Apollo kein lyrisches Spiel Bespannt mit Saiten von Gold, doch sind mir Lieder gelungen, Süßklingend sang ich der Seele Gefühl. Mich hört der eiserne Held, mir horcht der ernste Gesandte, Herunter kommend vom Stuhle des Herrn, Auch höret meinen Gesang, wer sonst die Muse verkannte, Des Geizes Priester, vernehmen ihn gern. Mir gab Dein liebender Freund der Felsenspringerin Laute, Oh, ihn nur zu denken wird süßer Gesang In der ganz sapphischen Brust; der Liebes-Götter Vertraute Ward ich und habe die Herzen in Zwang! Mich fühlt der wankende Greis, die abgelebte Matrone, Mich horcht der Jünglinge klopfendes Herz. Das Mädchen fürchtet den Pfeil! er rauscht im sapphischen Tone Laut, wie im Uzischen Liede voll Scherz. Friederike Brun Ich denke dein Ich denke dein, wenn sich im Blütenregen Der Frühling malt; Und wenn des Sommers mild gereifter Seegen In Ähren strahlt. Ich denke dein, wenn sich das Weltmeer tönend Gen Himmel hebt, Und vor der Wogen Wuth das Ufer stöhnend Zurücke bebt. Dein denk' ich, wenn der junge Tag sich golden Der See enthebt, An neugebornen zarten Blumendolden Der Frühthau schwebt. Ich denke dein, wenn sich der Abend röthend Im Hain verliert, Und Philomelens Klage leise flötend Die Seele rührt. Dein denk' ich, wenn im bunten Blätterkranze Der Herbst uns grüßt; Dein, wenn, in seines Schneegewandes Glanze, Das Jahr sich schließt. Am Hainquell, ach! im leichten Erlenschatten Winkt mir dein Bild! Schnell ist der Wald, schnell sind die Blumenmatten Mit Glanz erfüllt. Beim trüben Lampenschein, in bittern Leiden, Gedacht' ich dein! Die bange Seele flehte nah' am Scheiden: »Gedenke mein!« Ich denke dein, bis wehende Zypressen Mein Grab umziehn; Und selbst in Lethe's Strom soll unvergessen Dein Name blühn! Dorothea Schlegel Draußen so heller Sonnenschein Draußen so heller Sonnenschein, Alter Mann, lass mich hinaus! Ich kann jetzt nicht geduldig sein, Lernen und bleiben zu Haus. Mit lustigem Trompetenklang Ziehet die Reuterschar dort, Mir ist im Zimmer hier so bang, Alter Mann, laß mich doch fort! Er bleibt ungerührt, Er hört mich nicht: »Erlaubt wird, was dir gebührt, Tust du erst deine Pflicht!« Pflicht ist des Alten streng Gebot; Ach, armes Kind! du kennst sie nicht, Du fühlst nur ungerechte Not Und Tränen netzen dein Gesicht. Wenn es dann längst vorüber ist, Wonach du trugst Verlangen, Dann gönnt man dir zu spät die Frist, Wenn Klang und Schein vergangen! Was du gewähnt, Wonach dich gesehnt, Das findest du nicht: Doch bleibt betränt Noch lang dein Gesicht Sophie Mereau Abschied an Dornburg Du Berg, der frei die hohe Stirn erhebt, wo oft der Strahl des Morgens mich umwebt, du Welle, die das Ufer spielend neckt, wie Menschenstimmen oft mich leicht erschreckt, du Abendrot, das auf der Welle schwimmt, ihr Würmchen, die, in Dämmerung entglimmt, durch Busch und Flur in schnellen, leichten Tänzen, mir, wie herabgefallne Sterne glänzen, du ewig unbewegter Tannenwald, der stillen Sorge trauter Aufenthalt, der Hain, wo einsam Philomele girrt, worin ich oft mutwillig mich verirrt, der Weide Duft, der still die Lüfte küßt,- seid alle mir zum letztenmal gegrüßt! lebt wohl! Ihr habt mit unschuldvollem Scherz, mit goldnem Traum oft mein Gemüt entschleiert, und meine Ruhe fühlend mitgefeiert! Auch ihr vermißt der Freundin leichte Spur, denn was ist, ohne das empfindungsvolle Herz, das sie versteht, die lieblichste Natur? Karoline von Günderrode Der Luftschiffer Gefahren bin ich im schwankenden Kahne Auf dem blaulichen Oceane, Der die leuchtenden Sterne umfließt, Habe die himmlischen Mächte begrüßt. War in ihrer Betrachtung versunken, Habe den ewigen Aether getrunken, Habe dem Irdischen ganz mich entwandt, Droben die Schriften der Sterne erkannt Und in ihrem Kreisen und Drehen Bildlich den heiligen Rhythmus gesehen, Der gewaltig auch jeglichen Klang Reißt zu des Wohllauts wogendem Drang. Aber ach! es ziehet mich hernieder, Nebel überschleiert meinen Blick, Und der Erde Grenzen seh' ich wieder, Wolken treiben mich zurück. Wehe! das Gesetz der Schwere Es behauptet nur sein Recht, Keiner darf sich ihm entziehen Von dem irdischen Geschlecht. Luise Hensel Nachtgebet Müde bin ich, geh’ zur Ruh, Schließe beide Äuglein zu; Vater, lass die Augen dein Über meinem Bette sein. Hab’ ich Unrecht heut’ getan, Sieh’ es, lieber Gott, nicht an! Deine Gnad’ und Jesu Blut Macht ja allen Schaden gut. Alle, die mir sind verwandt, Gott, lass ruhn in deiner Hand. Alle Menschen, groß und klein, Sollen dir befohlen sein. Kranken Herzen sende Ruh, Nasse Augen schließe zu; Lass den Mond am Himmel stehn, Und die stille Welt besehn! Dorothea Tieck Vergleich ich Dich dem Tag im holden Lenze? Vergleich ich Dich dem Tag im holden Lenze? Du bist weit süßer, bist Dir immer gleich: Der Sturm zerreißt des Maien Blüten-Kränze, Und kurze Zeit nur steht des Frühlings Reich. Bald scheint zu heiß herab des Himmels Licht, Bald hüllt in Wolken sich die goldne Spur. Kein Schönes, dem nicht Schönheit oft gebricht, Des Schmucks beraubt durch Zufall und Natur. Jedoch Dein ew′ger Lenz soll nie verblühn; Nichts diese Zierde, die Dir eigen, kränken; Der Tod nie prahlend in sein Reich dich ziehn, Da ew′ge Zeilen ew′ge Dauer schenken. So lang, als Augen sehn und Menschen leben, Lebt dies, um ew′ge Jugend Dir zu geben. Helmina von Chézy Ach, wie wär's möglich dann, Daß ich dich lassen kann! Hab dich so herzlich lieb, Das glaube mir! Du hast das Herze mein Ganz mir genommen ein, Daß ich kein andre lieb, Als dich allein! Blau blüht ein Blümelein, Das heißt Vergiß nicht mein, Das Blümlein leg ans Herz, Und denk an mich! Stirbt Blum' und Hoffnung gleich, Wir sind an Liebe reich, Denn die stirbt nicht bei mir, Das glaube mir! Wär' ich ein Vögelein, Bald wollt' ich bei dir sein, Scheut' Falk' und Habicht nicht, Flög' schnell zu dir. Schöss' mich ein Jäger tot, Fiel' ich in deinen Schoß, Sähst du mich traurig an, Gern stürb' ich dann! Bettina von Arnim Wer sich der Einsamkeit ergibt „Wer sich der Einsamkeit ergibt, Ach der ist bald allein; Ein jeder lebt, ein jeder liebt Und läßt ihn seiner Pein." Wer sich dem Weltgewühl ergibt, Der ist zwar nie allein. Doch was er lebt und was er liebt, Es wird wohl nimmer sein. Nur wer der Muse hin sich gibt, Der weilet gern allein, Er ahnt, daß sie ihn wieder liebt, Von ihm geliebt will sein. Sie kränzt den Becher und Altar, vergöttlicht Lust und Pein. Was sie ihm gibt, es ist so wahr, Gewährt ein ewig Sein. Es blühet hell in seiner Brust Der Lebensflamme Schein. Im Himmlischen ist ihm bewußt Das reine irdsche Sein. Marie von Ebner-Eschenbach Ein kleines Lied Ein kleines Lied! Wie geht's nur an, Daß man so lieb es haben kann, Was liegt darin? erzähle! Es liegt darin ein wenig Klang, Ein wenig Wohllaut und Gesang Und eine ganze Seele. Ricarda Huch Nicht alle Schmerzen sind heilbar, denn manche schleichen Sich tiefer und tiefer ins Herz hinein, Und während Tage und Jahre verstreichen, Werden sie Stein. Du sprichst und lachst, wie wenn nichts wäre, Sie scheinen zerronnen wie Schaum. Doch du spürst ihre lastende Schwere Bis in den Traum. Der Frühling kommt wieder mit Wärme und Helle, Die Welt wird ein Blütenmeer. Aber in meinem Herzen ist eine Stelle, Da blüht nichts mehr. Catharina Regina von Greiffenberg Der schönen Euthymia oder Gemüts-Ruhe Schöne Euthymia zierde der Tugend Schätzbares Kleinod wolständig der Jugend theuer und schätzbar zu unseren Zeiten Siegerin aller Entpörung und Streiten! Alle die Speisen die kanstu versüssen daß wir sie seelig und frölich geniessen. Deine Gesellschafft dermassen ergötzet daß sie die Einöd der Wüsten ersetzet. Holde Ergetzerin ängstiger Sorgen was schon vorhanden auch künfftig verborgen! einige Hüterin alles vergnügen künstlich und dienstliches Werkzeug zum siegen! Mächtig-und prächtige König-Reichswürden weichenden reinesten Himmels-Begierden Wunder der schönen dich einig zu lieben. wer dich besitzet lebt ohne betrüben. Zepter und Kronen Lufftflüchtige Ehren Glückes-begünsten wie Monden verkehren; Sieges Prachts-Fahnen und Palmen vergehen: meine Euthymia Ewig bleibt stehen. Spiegel ja rechtes selbständiges Wesen höhestes Glückes so machet genesen! Wenderin aller Herz-plagenden Sachen! nimmermehr lästu den Kummer erwachen. Herzens-Beherrscherin / Fürstin der Sinnen Herzogin meiner Gedanken beginnen! höchlich verlang' ich / dir dienend zusterben wann ich nur könnte dein beyseyn erwerben. Louise Aston Lebensmotto Fromme Seelen, fromme Herzen, Himmelssehnend, lebenssatt; Euch ist rings ein Thal der Schmerzen, Eine finst're Schädelstatt! Mag in schreckenden Gesichten Bang vor mir das Schicksal steh'n; Nie soll mich der Schmerz vernichten, Nie zerknirscht und reuig seh'n! Freiem Leben, freiem Lieben, Bin ich immer treu geblieben! Leben - Meer, das endlos rauschend Mich auf weiten Fluten trägt: Deinen Tiefen freudig lauschend Steh' ich sinnend, stummbewegt. Stürzt Gewittersturm, der wilde, Jauchzend sich in's Meer hinein, Schau' ich in dem Flammenbilde Meines Lebens Wiederschein. Freiem Leben, freiem Lieben, Bin ich immer treu geblieben! Liebe - von der Welt geächtet, Von dem blinden Wahn verkannt, Oft gemartert, oft geknechtet, Ohne Recht und Vaterland; Fester Bund von stolzen Seelen Den des Lebens Glut gebar, Freier Herzen freies Wählen Vor der Schöpfung Hochaltar! Freiem Leben, freiem Lieben, Bin ich immer treu geblieben! Und so lang' die Pulse beben, Bis zum letzten Athemzug, Weih' der Liebe ich dies Leben, Ihrem Segen, ihrem Fluch! Schöne Welt, du blühend Eden, Deiner Freuden reicher Schatz Giebt für alle Schicksals Fehden Vollen, köstlichen Ersatz! Freiem Lieben, freiem Leben, Hab' ich ewig mich ergeben! Sibylla Schwarz Lied auf eine französische Melodei Dir O mein Leben! bin ich ergeben. Ich tu auch was ein Diener kann dennoch mein Licht lohnst du mir nicht wie du wohl schuldig weil ich geduldig die Marter nehme an. Wer will vertragen so große Plagen und haben keinen Lohn davon? bist nicht ei´m Knecht der treu und recht dient und geduldig den Lohn auch schuldig? drum gib mir meinen Lohn. Zwar deinen Willen magst du erfüllen dennoch dien ich dir nicht umsonst willst du mein Licht mehr mir denn nicht willst du mein Leben mehr mir nicht geben so gib mir deine Gunst. Wo diese Gaben ich nicht kann haben so werd ich grau auf einen Tag wo ich dies nicht erlang mein Licht daß deine Strahlen auf mich frei fallen verloren ist die Sach. Schau der Welt Sachen wie es die machen wie es von Anfang ist gemacht. Schau an das Vieh das sich ohn Müh fein pflegt zu paaren laß uns auch fahren den Weg da Glücke lacht. Solln dann die Zeiten vorüber schreiten in den´n die Jugend Blumen bringt ohn Lust und Freud in lauterm Leid? Komm doch mein Leben du kannst mir geben wornach die Jugend ringt. Ich will gedenken du wirst mir schenken für meine Müh die zarte Schoß und was noch mehr ich auch begehr komm meine Sonne komm meine Wonne mach mich der Seufzer los! Wo diese Gabe ich nur bloß habe so werd ich frei von aller Not; geschieht es nicht daß mir mein Licht die Gunst will geben kann ich nicht leben bin schon fast lebend tot. Drum dies Bedingen laß mir gelingen; mein Lieb wo du mich lieb gewinnst so liebe recht wie ich dein Knecht; laß sich nicht enden die Lieb noch wenden so hab ich den Verdienst. Laß sich nicht enden noch einmal wenden die Liebe und Beständigkeit so kann ich sein ganz ohne Pein laß dich nicht lenken du mußt gedenken Wo Lieb ist, ist auch Neid. Else Lasker-Schüler Weltende Es ist ein Weinen in der Welt, als ob der liebe Gott gestorben wär, und der bleierne Schatten, der niederfällt, lastet grabesschwer. Komm, wir wollen uns näher verbergen... Das Leben liegt in aller Herzen wie in Särgen. Du, wir wollen uns tief küssen... Es pocht eine Sehnsucht an die Welt, an der wir sterben müssen. Elisabeth Langgässer Frühling 1946 Holde Anemone, Bist du wieder da Und erscheinst mit heller Krone Mir Geschundenem zum Lohne Wie Nausikaa? Windbewegtes Bücken, Woge, Schaum und Licht! Ach, welch sphärisches Entzücken Nahm dem staubgebeugten Rücken Endlich sein Gewicht? Sah in Gorgos Auge Eisenharten Glanz, Ausgesprühte Lügenlauge Hört ich flüstern, daß sie tauge, Mich zu töten ganz. Anemone! Küssen Lass mich dein Gesicht: Ungespiegelt von den Flüssen Styx und Lethe, ohne Wissen Um das Nein und Nicht. Aus dem Reich der Kröte Steige ich empor, Unterm Lid noch Plutons Röte Und des Totenführers Flöte Grässlich noch im Ohr. Ohne zu verführen, Lebst und bist du da, Still mein Herz zu rühren, Ohne es zu schüren - Kind Nausikaa! Annette von Droste-Hülshoff Der Knabe im Moor O schaurig ist’s über’s Moor zu gehn, Wenn es wimmelt vom Haiderauche, Sich wie Phantome die Dünste drehn Und die Ranke häkelt am Strauche, Unter jedem Tritt ein Quellchen springt, Wenn aus der Spalte es zischt und singt, O schaurig ist’s über’s Moor zu gehn, Wenn das Röhricht knistert im Hauche! Fest hält die Fibel das zitternde Kind Und rennt als ob man es jage; Hohl über die Fläche sauset der Wind – Was raschelt drüben am Haage? Das ist der gespenstige Gräberknecht, Der dem Meister die besten Torfe verzecht; Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind! Hinducket das Knäblein zage. Vom Ufer starret Gestumpf hervor, Unheimlich nicket die Föhre, Der Knabe rennt, gespannt das Ohr, Durch Riesenhalme wie Speere; Und wie es rieselt und knittert darin! Das ist die unselige Spinnerin, Das ist die gebannte Spinnlenor’, Die den Haspel dreht im Geröhre! Voran, voran, nur immer im Lauf, Voran als woll’ es ihn hohlen; Vor seinem Fuße brodelt es auf, Es pfeift ihm unter den Sohlen Wie eine gespenstige Melodey; Das ist der Geigemann ungetreu, Das ist der diebische Fiedler Knauf, Der den Hochzeitheller gestohlen! Da birst das Moor, ein Seufzer geht Hervor aus der klaffenden Höhle; Weh, weh, da ruft die verdammte Margreth: „Ho, ho, meine arme Seele!“ Der Knabe springt wie ein wundes Reh, Wär’ nicht Schutzengel in seiner Näh’, Seine bleichenden Knöchelchen fände spät Ein Gräber im Moorgeschwehle. Da mählig gründet der Boden sich, Und drüben, neben der Weide, Die Lampe flimmert so heimathlich, Der Knabe steht an der Scheide. Tief athmet er auf, zum Moor zurück Doch immer wirft er den scheuen Blick: Ja, im Geröhre war’s fürchterlich, O schaurig wars in der Haide! Gertrud Kolmar Verwandlungen Ich will die Nacht um mich ziehn als ein warmes Tuch Mit ihrem weißen Stern, mit ihrem grauen Fluch, Mit ihrem wehenden Zipfel, der die Tagkrähen scheucht, Mit ihren Nebelfransen, von einsamen Teichen feucht. Ich hing im Gebälke starr als eine Fledermaus, Ich lasse mich fallen in Luft und fahre nun aus. Mann, ich träumte dein Blut, ich beiße dich wund, Kralle mich in dein Haar und sauge an deinem Mund. Über den stumpfen Türmen sind Himmelswipfel schwarz. Aus ihren kahlen Stämmen sickert gläsernes Harz Zu unsichtbaren Kelchen wie Oportowein. In meinen braunen Augen bleibt der Widerschein. Mit meinen goldbraunen Augen will ich fangen gehn, Fangen den Fisch in Gräben, die zwischen Häusern stehn, Fangen den Fisch der Meere: und Meer ist ein weiter Platz Mit zerknickten Masten, versunkenem Silberschatz. Die schweren Schiffsglocken läuten aus dem Algenwald. Unter den Schiffsfiguren starrt eine Kindergestalt, In Händen die Limone und an der Stirn ein Licht. Zwischen uns fahren die Wasser; ich behalte dich nicht. Hinter erfrorener Scheibe glühn Lampen bunt und heiß, Tauchen blanke Löffel in Schalen, buntes Eis; Ich locke mit roten Früchten, draus meine Lippen gemacht, Und bin eine kleine Speise in einem Becher von Nacht. Gertrud von Le Fort Die Heimatlosen Wir sind von einem edlen Stamm genommen, Der Schuld vermählt, Wir sind auf dunklen Wegen hergekommen Wund und gequält. Wir hielten einst ein Vaterland umfangen - Gott riß uns los - Wir sind durch Feuer und durch Blut gegangen Verfolgt und bloß. Des Abgrunds Engel hat uns überflogen - Wer bannt sein Heer? Wir sind am Rand der Hölle hingezogen - Uns graust nicht mehr. Durch jede Schmach sind wir hindurchgebrochen Bis ins Gericht: Wir hörten Worte, die ihr nicht gesprochen - O, redet nicht! Uns winkt hier niemals Heimat mehr wie andern, Uns hält kein Band, Gott riss uns los, wir müssen wandern, wandern - Wüst liegt das Land, Wüst liegt die Stadt, wüst liegen Hof und Hallen, Die Hand ward leer, Wir sahen eine Welt in Trümmer fallen - Uns trifft nichts mehr. Ziel eines Hasses oder Spottes, Was liegt daran? Wir sind die Heimatlosen uns'res Gottes - Er nimmt uns an. Die Schuld ist ausgeweint, wir sind entronnen Ins letzte Weh: Die ew'ge Gnade öffnet ihre Bronnen - Blut wird zu Schnee.